Bocchetta die Fornee / einsame Passwanderung ins Val Carassino zur Capanna Adula CAS / UTOE
Über Jahrhunderte trieben Tessiner Hirten ihre Tiere zur Sömmerung in die bündnerische Länta. Zur Überquerung des Alpenhauptkammmes wählten sie den Passo Soreda und die Bocchetta di Fornee. Dies waren schlicht und einfach die einzigen Kerben im langen Grat zwischen dem Piz Terri im Norden und dem Rheinwaldhorn im Süden, die ein Durchkommen für Tier und Mensch ermöglichten. Der Preis an Mühe und Mut muss aber an beiden Pässen ein hoher gewesen sein. Den selbst heute, mit aller moderner Ausrüstung und Bekleidung, und ohne Kühe und Schafe, sind die beiden Lücken anspruchsvolle Touren. Während sich der Passo Soreda auf einem markierten Bergweg überqueren lässt, erfordert die Bocchetta di Fornee Spurensuche, viel Erfahrung in der Orientierung und geschicktes Steigen in steilem und weglosem Gelände. Nur selten bestätigen alte Steintreppen und undeutliche Spuren im Gras und Geröll, dass auch an der Bocchetta die Fornee einst ein mehr oder weniger deutlicher Weg vorhanden war. Wenn über Jahrhunderte Hirten und Tiere immer die selben Auf- und Abgänge benutzten, und dabei immer mal wieder Steine ausräumten und Büsche schnitten, entstand ein solcher Weg von alleine. Im Unterschied zum Passo Soreda, wo sich der Weg den immer mal wieder vor- oder zurückweichenden Gletschern anpassen liess, führte an der Bocchetta di Fornee die Route oben auf der Ostseite des Passes wohl immer über einen Gletscher. Dieser ist heute fast gänzlich abgeschmolzen und an seiner Stelle gilt es nun eine Felsstufe zu überwinden, die auf der ganzen Tour die Schlüsselstelle bildet.
Bocchetta di Fornee bedeutet ins Deutsche übersetzt Ofen-Lücke. Tatsächlich trennt ein hoher Felsturm, der an einen Kamin erinnert, die Lücke in eine nördliche und in eine südliche Scharte. Die nördliche ist dabei der einfacher zu querende Übergang, wobei es durchaus hilfreich ist, wenn auf der Ostseite, da wo einst der Gletscher lag, möglichst lange in den Sommer hinein noch Schnee vom Winter liegt.
Die Bocchetta di Fornee ist die kürzeste Verbindung von der Länta-Hütte SAC hinüber ins Val di Carassino und zu den Adulahütten. Lange nur noch den Jägern bekannt, wird diese Strecke wieder vermehrt gelaufen. Die Tour führt durch eine wilde, unverfälschte Hochgebirgswelt und vermag jeden Bergsteiger und geübten Alpinwanderer zu begeistern.
Alpine Wanderroute: Länta-Hütte SAC - P. 2150 im Läntatal - südliche Seite vom Forneitobel - See bei P. 2666 - nördliche Lücke der Bocchetta di Fornee P. 2887 - Alpe Fornee P. 2443 - talabwärts und auf die Südseite des Baches - Stabiell - Val di Carassino - Alpe Bresciana - Passo di Piotta - Capanna Adula CAS - Capanna Adula UTOE
Wanderdistanz: 10 km zur Cap. Adula CAS, 11 Km zur Cap. Adula UTOE
Wanderzeit: 6 h zur Cap. Adula CAS, 7 h zur Cap. Adula UTOE
Höchster Punkt: Bocchetta di Fornee, 2887 m ü.M.
Schwierigkeit: Von P. 2150 im Läntatal bis Stabbiell im Val di Carassino weglose Alpinwanderung. Schlüsselstelle T5, sonst T4. Im Val di Carassino von Stabbiell zu den beiden Adulahütten markierter Bergwanderweg T3.
Markierung: Die Route über die Bocchetta di Fornee ist nicht markiert. Vereinzelt weisen Steinmänchen und alte Wegspuren die richtige Richtung. Zwischen P. 2150 im Läntatal und der Bocchetta di Fornee hat es vereinzelt verwitterte orange Farbmarkierungen. Diese dienten früher den Schafhirten zur Orientierung und können bis heute benutzt werden.
Ideale Wanderzeit: Ende Juni bis Anfang Oktober. Achtung: Bei Nässe oder sommerlichem Neuschnee ist die Tour zu meiden.
Landkarte: Landeskarte der Schweiz 1:25'000, Blatt 1253 Olivone
Höhepunkte: Der erste Anstieg im Läntatal über die felsdurchsetzte Grasrippe südlich des Forneitobels hoch: Hier geht es sich über die horizontal geschichteten Felsbänder wie auf einer natürlichen Treppe - der Gletschersee P. 2666 - der spektakuläre Ausblick auf das Rheinwaldhorn und Güferhorn - die Querung des Passes mit dem Panorama nach Westen bis hin zu den Walliser Alpen - der Abstieg durch den einsamen Fornee-Kessel - das Val di Carassino als U-förmiger Gletschertrog - der Passo di Piotta mit der unvermittelt nach Süden abbrechenden Felswand- die beiden aussichtsreich gelgenen Adula- Hütten.
Tipp: Piz Jut
Wer in der Länta früh startet und die untere der beiden Adula-Hütten als nächstes Nachtquartier wählt, hat genügend Zeit, den Piz Jut in der Tour zu integrieren. Der Gipfel kann bei geschickter Routenwahl ohne Gletscherberührung bestiegen werden. Er bietet ein absolut spektakuläres 360 Grad Panorama über die ganzen Zentralalpen. Kaum von einem anderen Berg aus ist es zudem schöner, in die vergletscherten Nordflanken von Grauhorn, Rheinwaldhorn und Güferhorn zu schauen. Der zusätzliche Zeitaufwand hin und zurück beträgt 2.5 Stunden.
AUFSTIEG ZUM PIZ JUT: Vom See bei P. 2666 über den Moränenkamm hoch zu P. 2741. Von dort am Rand einer kleinen Felsschlucht zu einem Tümpel in südwestlicher Richtung. Nun gleichmässig über Schneefelder und vom Gletscher geschliffene Gneisplatten hoch zur Lücke P. 3020 südlich der Cima di Fornee. Von dort über den breiten Rücken auf den höchsten Punkt, 3129 m. Im Abstieg quert man vom Tümpel aus über Geröll nach Nordwesten hinüber zur Bocchetta di Fornee.
VORSICHT: Nicht zu nahe an die Ostflanke der Cima di Fornee treten. Unter dem steilen Geröll am Wandfuss lagert noch überall Eis. Im Sommer kommt es dort immer wieder zu Rutschungen und Steinschlag. Auch die Cima di Fornee selbst weist eher zweifelhafte Felsqualität auf. Die schönen Grattürme sind somit als Mahnfinger und weniger als Einladung zu verstehen.