Fuorcla Val Nova - Fuorcla Darlun: Zwei Pässe auf dem hohen Weg ins Val Lumnezia
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass es da aus der Länta tatsächlich eine Möglichkeit gibt nach Vrin in die Val Lumnezia zu laufen. Zwei Seitenäste beider Täler berühren sich an der Nordwestflanke des Piz Scharboda. Wer diese Route heute geht, und dabei kaum auf die Spuren menschlichen Schaffens trifft, wird einigermassen verwundert die Augen reiben, wenn er im Sattel der Fuorcla Val Nova auf einen Wegweiser stösst, auf dem Vrin angeschrieben steht. Dieses uralte Schild aus der Zeit des ersten Weltkrieges weist aber noch heute in die richtige Richtung. Und es ist eines der wenige Zeugnisse, dass diesem Passweg früher eine wesentlich höhere Bedeutung zukam. Wer in die Leutzinger-Karte blickt, einer der schönsten Kupferstichkarten der Schweiz, entdeckt einen deutlichen Weg aus der Länta ins Lugnez, von der Lampertschalp nach Vanescha. Der Grund: Zuhinterst in beiden Tälern siedelten früher Hirten aus dem Tessin. Alpe Blengias und Lampertschalp (früher Alpe Soreda) beinhalten bis heute in ihren Namen entsprechende Ursprungshinweise. Diese Leute haben sich natürlich besucht und Tiere getauscht, auf dem nächst möglichen Weg, so beschwerlich es gewesen sein muss. So trifft man bei genauerem Hinsehen auch heute noch auf alte Wegspuren, insbesondere in der Val Nova, dem steilsten aber wohl auch eindrücklichsten Abschnitt der Tour. Weitere Highlights dieser absolut spektakulären Alpinwanderung sind das gletscherfreie aber hochalpine Ambiente, die Griffnähe zu stolzen Bergen wie dem Piz Terri, der geologisch-mineralogische Reichtum der Val Nova, der Blockgletscher und seine Moränenlandschaft zwischen Piz Alpettas und Piz Treis Fuorclas, die alpine Bergtundra der Priel Sura, die offen zu Tage tretende Mineralwasserquelle bei der Alp Scharboda und die dunklen Fichtenwälder auf dem Weg von Pardatsch nach Vrin hinaus.
Für geübte Alpinwanderer, die in weglosem Gelände ohne Markierungen aber mit Karte zu recht kommen, ist die Tour aus der Länta nach Vrin ein absolutes Muss und etwas vom Urtümlichsten, was die Adula-Alpen zu bieten haben.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Gebirgsdurchquerung auf dieser Route sind gute Wetter- und Sichtverhältnisse. Bei Nebel ist der Abschnitt aus der mittleren Val Nova über die Pässe hinüber zur Alp Scharboda kaum zu finden. Zu beachten ist auch, dass zahlreiche Bäche zu queren sind, die nach starken Regenfällen oder zu früh im Sommer bei starkem Schmelzwasserabgang erhebliche Probleme bereiten können. Diese Tour ist somit ein Abenteuer pur, wie es in den Alpen selten geworden ist. Eine entsprechend gute Planung und Ausrüstung ist deshalb sehr wichtig.
Wanderroute: Länta-Hütte SAC - Lampertschalp - Val Nova - Fuorcla Val Nova - Fuorcla Darlun - Darlun - See P. 2333 - Alp Scharboda P. 2095 - Alp Suraua - Scatlé - Pardatsch - Schareida - Vrin.
Hinweis zum Aufstieg durch die Val Nova: Von der Lampertschalp über eine auffallende Geländerippe auf mehr oder weniger deutlichem Pfad hoch zur Priel Sut. Von der Priel Sut zur Priel Miez auf der östlichen Seite des Baches (nach oben deutliche Pfadspuren). Von der Priel Miet zur Priel Sura auf der westlichen Seite des Baches (der abschliessende Felsriegel hat eine gut gestufte Steintreppe). Von der Priel Sura zur Fuorcla Val Nova in direkter Linie auf den tiefsten Punkt im Sattel zu. Achtung: Die Val Nova ist Weidegebiet der Lampertschalp Schafe. Vorhandene Zäune und Gatter sind unbedingt zu schliessen bzw so zu belassen, wie sie angetroffen werden.
Wo die Mineralwasserquelle bei der Alp Scharboda fliesst: Im Talboden der Alp Scharboda bei P. 2095 laufen mehr oder weniger alle Bäche der oberen Val Stgira zusammen. In der Nähe eines grossen Felsblocks sind auch die rechteckigen Mauerreste eines uralten Einfanges zu finden. Blickt man von dort in Richtung Frunthorn und Dachberg hoch, sieht man in einer Schotterflure rötlich gefärbtes Geröll. Dort sprudelt nicht gerade ergiebig, aber immerhin, die eisenhaltige Quelle.
Vom letzten Eis und Klimawandel in der Val Lumnezia: Noch gibt es Eis in der Nordostflanke des Piz Scharboda. Da ist einmal die von Geröll und Schutt zugedeckte Wandvereisung als letzten Rest eines Gletschers, der noch 1860 einen Kilometer lang in die Val Stgira hinunter reichte. Eis ist ebenfalls Bestandteil des Blockgletschers auf der Ostseite der Fuorcla Darlun. Gleich eines dicken, grauen Wurms weist dieses Gemisch aus Sand, Geröll, Eis und Wasser noch schwache Fliessbewegungen auf. Eis als auftauender Permafrost verändert zudem die Gratschneide vom Piz Treis Fuorclas und Piz Scharboda. Riesige Spalten, Geländesenkungen und Felsausbrüche in den schattigen Nordhängen illustrieren eindrücklich, dass da derzeit vieles in Bewegung ist.
Lohnender Gipfel am Wegrand: Der Piz Treis Fuorclas ist zwar nur eine Gratschulter des Piz Scharboda. Wer von der Fuorcla Val Nova über den Westgrat auf den Mittelgipgfel steigt (2990 m, T4, zwei Stellen erfordern die Hände und sind etwas ausgetzt), wird ab den farbigen Gesteinsformationen und den von Wind und Wasser geformten Schiefer- und Kalktürmen begeistert sein. Und die Aussicht von dieser Kanzel zwischen Piz Terri und Piz Scharboda ist schlicht atemberaubend.
Wanderdistanz: Länta-Hütte SAC - Vrin: 20 Km (!) Die Tour lässt sich nicht abkürzen und unterwegs gibt es keine Hütten mit Übernachtungsmöglichkeiten. Somit früh am Morgen starten und unterwegs ein gutes Zeitmenagement einhalten!
Wanderzeit: Bei guten Verhältnissen ist mit 10 Stunden zu rechnen. Der Piz Treis Fuorclas erfordert hin und zurück eine zusätzliche Stunde.
Höhenmeter: Im Aufstieg sind 1000 Höhenmeter zu überwinden, im Abstieg sind es 1600 Höhenmeter. Mit dem Gipfel des Piz Treis Fuorclas sind es je 100 Höhenmeter mehr.
Höchster Punkt: Fuorcla Darlun, 2886 m ü.M. oder Piz Treis Fuorclas, 2990 m ü.M.
Schwierigkeit: Bei richtiger Routenwahl nirgends anspruchsvoller als T4 auf der SAC Wanderskala. Die Schwierigkeiten liegen in der Orientierung und der Länge der Tour.
Markierung: Von der Lampertschalp bis Pardatsch sind keine Markierungen vorhanden. Mögliche Steinmänner haben nicht zwingend etwas mit der Route zu tun. Achtung: In der Val Nova haben zahlreiche Strahler ihre Kristallklüfte markiert. Alle Gegenstände so belassen und nichts mitnehmen. Im Abstieg von der Fuorcla Darlun zur Alp Scharboda unter keinen Umständen den horizontal die Hänge querenden Wildwechsel und Schafwegen folgen! Ab der Schäferhütte der Alp Scharboda Bergweg, der ab Pardatsch markiert ist und zum Alpsträsschen wird.
Ausrüstung: Robuste Bergwanderausrüstung. Stöcke sind absolut empfehlenswert, im Frühsommer mit noch umfangreichen Schneefeldern kann ein Pickel hilfreich sein. Unbedingt auf robustes, gutes und hoch schliessendes Schuhwerk achten. Hohem Gras, welches vom Morgentau oder nächtlichem Gewitter nass sein kann, begegnet man mit Gamaschen. Für die Querung der Bäche sind Stöcke und ev. ein kurzes Seil zur Sicherung sinnvoll.
Ein Hinweis zum Schluss: Eine solche Alpinwanderung verpflichtet! Das Privileg, in diesem Land frei und nach Lust und Laune durch die Berge streifen zu dürfen, ist nicht selbstverständlich. Wer in solche letzte unberührte Naturräume vorstösst, ist dringend gebeten, auf Fauna und Flora höchste Rücksicht zu nehmen und in Zonen mit sensiblem Pflanzenbewuchs keine unnötigen Fussabdrücke zu hinterlassen.